Heute sah ich zwei Umfragen, die mich sehr nachdenklich machten, obwohl sie auf den ersten Blick in keinem Zusammenhang stehen

Die erste ging um die Räumung des Hambacher Forsts. Die Frage lautete 'Haben Sie Verständnis für das Anliegen der Aktivisten'. Ich erwartete ein Kopf an Kopf Rennen, aber das Ergebnis fiel mit 70 Prozent 'Nein' Stimmen überraschend klar aus. Nur zwei schmale Balken signalisierten Verständnis  Systemverweigerung steht nicht hoch im Kurs. Ich muss gestehen, das hatte ich nicht erwartet.

Die nächste Frage ging um eine Corona Party, die von der Polizei aufgelöst wurde. Der Vorwurf: laute Musik und Verstoss gegen die Kontaktbschränkungen. Die Beteiligten bekamen eine Anzeige nach dem Infektionsschutzgesetz. Die Frage diesmal: "finden Sie Corona Partys unsolidarisch?" Nun muss man anmerken, natürlich handelte es sich in Wirklichkeit nicht um eine Corona Party sondern um eine Party in Corona Zeiten und diese können bekanntlich lang werden. Die Formulierung der Frage lud dabei zugegebenermassen ein wenig zur Voreingenommenheit auf. Trotzdem überraschte mich das Ergebnis: Stolze 83 Prozent verurteilten das hemmungslose Treiben. Wow, schlummert wirklich in jedem von uns ein kleiner Blockwart? Berücksichtigt man, dass die Verlängerung der Corona Saison bereits in Planung ist, hatte ich mehr Verständnis für die Ungeduld der jungen Menschen erwartet. 

Sehen jene 83 Prozent die jede Party in Corona Zeiten verurteilen also wirklich für sich selbst ein "solidarisches" Sylvester vor dem Fernseher vor und Weihnachten per Skype? Oder ist es vielmehr so, dass wir einfach nur bei anderen besonders genau hinschauen, aber wenn es um unsere Belange geht,  ist das ja ein "Treffen unter Freunden"? Und mal nebenbei, ist unsolidarisch sein jetzt ein neuer Straftatbestand?

 

Betrachten wir die Fakten zu dem Thema: Die führenden Virologen halten sommerliche Veranstaltungen im Freien für das Infektionsgeschehen für eher unbedeutsam. Streeck schlug sogar vor im Sommer mutiger zu werden, damit wir bis zum Herbst zumindest eine Grundimmunität bekommen. Alle bekannten Virologen stimmen auch in der Vermutung überein, dass das Virus eine Entwicklung durchmachen wird, hin zu höherer Ansteckungstätigkeit bei abgeschwächtem Krankheitsbild, sprich das Virus mutiert zum Schnupfen.

Stellt sich die Frage, kann man einen Schnupfen aufhalten? In Deutschland besteht keine Grundimmunität.Wir könnten daher im Herbst in eine Situation kommen, in der wir einem Phantom hinteherjagen, das wir nicht zu fassen kriegen. Drosten sieht diese Problematik ebenso wie Streeck auch, hält aber im Unterschied zu diesem an der Linie fest, dass das Virus in Schach gehalten werden muss. "Vielleicht entgehen wir einem zweiten Shutdown", sagte Drosten Ende Mai dem Nachrichtenmagazin "Spiegel". Wichtig sei nach wie vor, einen  möglichen Ausbruch früh zu erkennen und zu stoppen, indem sämtliche Kontaktpersonen in Quarantäne kommen, ohne sie vorher erst langwierig zu testen, betonte Drosten". Nochmal Wow. Soweit die Meinung der führenden Fachleute und kurzgefasst der Stand der Wissenschaft, wobei mir Streecks Vorschläge ehrlich gesagt lieber sind, weil sie ohne Massenverhaftungen und Corona Schnelltests auskommen. 

 

Was hat das Thema Corona Partys mit dem Hambacher Forst zu tun? Vielleicht nichts und vielleicht doch viel. Die 68 Revolution hat zwar nicht stattgefunden, wie wir wissen, trotzdem war die Welt nie wieder dieselbe. Normale Familien haben angefangen über antiautoritäre Erziehung zu streiten und die Thesen von Rudi Dutschke zu diskutieren. Der Rohrstock wurde abgeschafft und Willy Brand formulierte den legendären Satz "Wir müssen mehr Demokratie wagen". Aber natürlich kann eine Entwicklung, die vorwärts ging auch wieder rückwärts ablaufen.Wie wird es nach Corona weitergehen, welche Welt werden wir vorfinden? Die der Thunbergs oder die der Blockwarts?